Mit der afghanischen Kulturwoche feierten im vergangenen Dezember Deutschland und Afghanistan ihre langjährigen freundschaftlichen Beziehungen, die 1915 begannen. Lesen Sie dazu ein Gespräch mit Frau Mariam Tutakhel-Azimi, Referentin für bilaterale Kulturbeziehungen der Länder Iran, Pakistan und Afghanistan. |
© picture alliance - Deutsche und Afghanische Musiker musizieren gemeinsam
Frau Tutakhel, wie entstand 1915 die deutsch-afghanische Freundschaft?
Am Anfang stand eine abenteuerliche Reise im Auftrag des deutschen Kaisers: Die kleine Gruppe deutscher Diplomaten unter Werner Otto von Hentig und Offiziere tarnte sich als Wanderzirkus und durchquerte auf dem Weg nach Afghanistan den Balkan, drang mit Bahn, Schiff und zu Pferd bis nach Bagdad vor, durchschritt die Salzwüste Kewir und gelangte schließlich über die afghanische Grenze. Am 26. September 1915 traf die Gesandtschaft in Kabul ein.
Die Expeditionsgruppe hatte den Auftrag, Afghanistans Herrscher, Emir Habibullah, zu einem Kriegseintritt auf Seiten der Mittelmächte zu bewegen. Dies gelang nicht, im Frühjahr 1916 zog sie unverrichteter Dinge aus Kabul ab.
Nach Ende des Ersten Weltkriegs erfolgte dann der Beginn der diplomatischen Beziehungen; 1923 eröffnete die erste deutsche Gesandtschaft in Kabul.
Ein deutscher Lehrer gründete 1924 in der afghanischen Hauptstadt die Amani-Schule, wo noch heute die Schüler Deutsch lernen. Zahlreiche Entwicklungsprojekte mit über 200 Experten wurden zu der Zeit ins Leben gerufen.
Nach der Niederlage Deutschlands im Zweiten Weltkrieg und den bald wieder aufgenommenen diplomatischen Beziehungen zwischen beiden Ländern wurde Afghanistan erneut Schwerpunkt deutscher Entwicklungsarbeit. Es wurden zahlreiche Verträge über wirtschaftliche und technische Zusammenarbeit unterzeichnet sowie Partnerschaften zwischen Universitäten gegründet.
Wie hat sich diese Freundschaft im Laufe der Zeit entwickelt?
Nach dem Abzug der sowjetischen Truppen 1989 und dem Fall der Taliban 2001 konnte Deutschland -auch aufgrund seines historisch gewachsenen Vertrauensverhältnisses- ein neues Kapitel aufschlagen und eine Vorreiterrolle im Wiederaufbau Afghanistans spielen.
2001 wurde in Bonn die Afghanistan Konferenz einberufen, was von allen wichtigen politischen Richtungen im Land befürwortet wurde.
Mit UN-Mandat ist dann die Internationale Sicherheitsbeistandstruppe zum Schutz der vorläufigen Regierung in Kabul gebildet worden. Deutschland war dabei der drittgrößte Truppensteller.
In Anknüpfung an alte Traditionen hat Deutschland auch einen Teil der Aus- und Weiterbildung der afghanischen Polizei übernommen und deutsche Experten setzen sich für den Aufbau eines funktionierenden Justizwesens ein.
Kultur- und Bildungspolitik bleiben stets wichtige Säulen:
Sportveranstaltungen, Lehreraus- und fortbildungen sowie Unipartnerschaften sind wichtige Teile des deutschen Engagements.
street-art in Kabul ©picture alliance
Kürzlich wurde das Jubiläum "100 Jahre deutsch-afghanische Freundschaft" mit einer Kulturwoche in Berlin begangen. Wie kann man das Kulturleben derzeit in Afghanistan beschreiben?
Die afghanischen Künstler sind Teil der Zivilgesellschaft, die sehr gut entwickelt ist. Die ausgeprägte Medienlandschaft kann als Erfolgsgeschichte des Wiederaufbaus betrachtet werden. Seit dem Ende der Taliban hat sich dieser Sektor stark entwickelt.
Die sehr junge Bevölkerung -zwei Drittel der Afghanen sind unter 25 – fühlen sich durch die Berichterstattung gut informiert, das Vertrauen in eine unabhängige Berichterstattung ist groß.
Afghanistans Kunstszene ist sehr jung und lebendig. Das konnten wir auch während der Kulturwoche zeigen: die verschiedenen Angebote sind bei deutschen und afghanischen Besuchern mit großer Begeisterung aufgenommen worden. Highlights waren dabei das Eröffnungskonzert des deutsch-afghanischen Konzertprojekts „Safar“ und eine phantastische Clubnacht, bei der der Soundtrack der 100jährigen deutsch-afghanischen Freundschaft zu hören war: Hiphop traf auf Weltmusik, Hippies auf Hipster, Elektro auf Vibraphon.
Auch die Fotografie als sozialkritisches und politisches Medium ist ein wichtiger Bereich der afghanischen Kunstszene:
Zu nennen wären da Massoud Hossaini, der 2012 für sein berühmtes Foto den Pulitzerpreis erhielt oder die Fotografin Farsana Wahidy, deren vielfach prämierten Bilder in internationalen Ausstellungen zu sehen sind.
Ein weiterer wichtiger und junger Bereich des Kunstlebens ist die Graffiti-Szene:
Es begann mit überall sichtbar großem aufgemalten Augenpaaren an Gebäuden und in Tunneln. Daraus entwickelte sich die Anti-Korruptionskampagne „I SEE YOU“ des Street Art-Künstlers Kabir Mokamel.
Fotografie und Graffiti-Kunst waren folglich auch Thema unserer Kulturwoche.
Zusammengefasst kann man sagen, dass das Kulturleben in Afghanistan -auch dank des deutschen Engagements -heute sehr vielfältig und ausgeprägt ist.
Die Medienlandschaft und Kulturszene sind echte Erfolgsgeschichten des Wiederaufbaus des Landes. Dies dürfte in der öffentlichen Meinung in Deutschland gern noch mehr publik gemacht werden.
Frau Tutakhel, vielen Dank für das Gespräch!