Matthias Conrad, Referent für Kultur und Presse an der Botschaft Kiew



Seit der "Revolution der Würde" auf dem Kiewer Maidan im Winter 2013/2014 hat die Bundesregierung die bereits intensive Zusammenarbeit mit der Ukraine deutlich ausgebaut. Auch 2016 wird die Bundesregierung ihr großes Engagement in und für die Ukraine fortsetzen. Über Entwicklungen und Ausblicke sprechen wir mit Herrn Matthias Conrad, Referent für Presse und Kultur der Botschaft Kiew.

" Die „Revolution der Würde“ stand und steht für den Wunsch nach einer anderen Ukraine, als sie es im Herbst 2013 war"

Herr Conrad, die Proteste auf dem Maidan und die Amtsenthebung Viktor Janukowitschs liegen zwei Jahre zurück. Wie kann man die aktuelle Lage in der Ukraine beurteilen?

Die Barrikaden auf dem Unabhängigkeitsplatz der Ukraine, dem berühmten Maidan, sind schon lange verschwunden, aber das, wofür das ukrainische Volk im Winter 2013/2014 in der „Revolution der Würde“ auf die Straße gegangen ist, darum kämpft das Land weiterhin: Eine freie und demokratische Ukraine, eine Ukraine ohne Korruption, eine Ukraine mit einer „europäischen Zukunft“. Die Herausforderungen sind enorm: Der fortgesetzte Konflikt im Osten der Ukraine und die illegale Annexion der Krim durch Russland sind eine Bedrohung der europäischen Sicherheitsarchitektur – eine Bedrohung, die auf ukrainischem Territorium ganz real ist und bereits über 9.000 Menschen das Leben gekostet hat.

Auch innenpolitisch steht die Ukraine vor historischen Herausforderungen: Sie durchläuft einen Reformprozess, der nahezu alle Bereiche von Wirtschaft, Politik und Gesellschaft umfasst. Dafür sind enorme Kraftanstrengungen und Reformbereitschaft vonnöten - die derzeitige Regierungskrise ist dabei sicher nicht hilfreich. Das größte „Kapital“ der Ukraine ist die umtriebige Zivilgesellschaft, die eine ganz wichtige Rolle im Reformprozess spielt.

Wie kann Deutschland, wie kann Europa den politischen und wirtschaftlichen Reformprozess der Ukraine noch besser unterstützen?

Die „Revolution der Würde“ stand und steht für den Wunsch nach einer anderen Ukraine, als sie es im Herbst 2013 war. Dieser Weg ist weit und schwer. Unser Versprechen als internationale Gemeinschaft ist die solidarische Unterstützung der Ukraine, wenn sie tiefgreifende Reformen durchführt, gute Regierungsführung unter Beweis stellt und den Kampf gegen die Korruption entschlossen führt. Vor diesem Hintergrund hat die Bundesregierung ihre intensive Zusammenarbeit mit der Ukraine deutlich ausgebaut und ist mittlerweile der zweitgrößte bilaterale Geber, dazu kommen unsere Aktivitäten in multilateralen Organisationen.

Die deutschen Unterstützungsmaßnahmen sind in einem „Aktionsplan Ukraine“ gebündelt, der sich an den Kernthemen des ukrainischen Reformprozesses orientiert. Zudem unterstützen wir besonders dort, wo Deutschland auf Grund eigener Erfahrungen gut aufgestellt ist: Energie- und Ressourceneffizienz, Wirtschaftsförderung und Infrastruktur, Dezentralisierung und kommunale Selbstverwaltung, Rechtsstaatlichkeit und Korruptionsbekämpfung, Bildung, Wissenschaft, Medien…Wichtig ist, dass der Aktionsplan Maßnahmen vereint, die einerseits kurzfristig Notsituationen lindern, aber auch mittel- und langfristige Projekte und Programme, die strukturelle Veränderungen schaffen.


Studentenproteste in Kiew © pic.all

Michael Roth, der Europa-Staatsminister im Auswärtigen Amt hat Mitte März an den Beratungen der EU-Außenminister in Brüssel teilgenommen Er sprach davon, den Medienpluralismus insbesondere in Osteuropa, zu stärken. Als Beispiel führte Roth die Deutsche Welle an, die in der Ukraine sehr aktiv sei. Welche Kooperation der Medien oder zivilgesellschaftlicher Projekte gibt es aktuell zwischen Deutschland bzw. Europa und der Ukraine?

Über Sondermittel für Länder der Östlichen Partnerschaft wurde und wird viel für eine Vertiefung der zivilgesellschaftlichen Zusammenarbeit getan: Allein im letzten Jahr wurden über 70 Projekte mit über 5 Mio. EUR gefördert, ein Engagement, das auch 2016 fortgesetzt wird und bei dem die Ukraine, was die Anzahl der Projekte und Höhe der Gelder angeht, an erster Stelle steht. Eine Reihe dieser Projekte ist im Bereich Medien/Journalismus angesiedelt und trägt unmittelbar dazu bei, unabhängigen Journalismus und eine pluralistische Medienlandschaft zu stärken.

Ein wichtiges Projekt in der Ukraine ist der Umbau des ehemaligen staatlichen Senders in einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Dieser soll für gute und objektive Nachrichten sorgen und damit einen Kontrapunkt zu den dominierenden TV-Sendern setzen, die meist in Oligarchen-Hand sind und in ihrer Berichterstattung vorrangig den wirtschaftlichen und politischen Interessen ihrer Eigentümer dienen.

Gestatten Sie mir noch einen Kommentar: Auch die Berichterstattung über die Ukraine in deutschen Medien ist ausbaufähig. Es gibt schon eine Weile keine festen Korrespondenten deutscher Medien in Kiew mehr, über die Ukraine wird hauptsächlich von Korrespondenten aus den Nachbarländern berichtet. Nach wie vor ist die Ukraine in Deutschland für viele „terra incognita“, dabei fliegt man von Berlin nach Kiew gerade einmal zwei Stunden! Insofern war die Eröffnung eines Büros der Deutschen Welle im Januar 2015 ein wichtiger „Augenöffner“.

Vielen Dank für das Gespräch!