Ainura Asakeyeva
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Was mich an Deutschland fasziniert?
Welche Hoffnungen verbinde ich mit diesem Land?
Worin sehe ich Deutschlands neue Rolle in der Welt?



Ein Beitrag von Ainura Asakeyeva, Bischkek, Kirgisistan


Es wird heute viel im Inland, in Europa und in der ganzen Welt über die neue Rolle des erstarkten, vereinigten, demokratischen, neuen Deutschlands gesprochen.

Ich war schon früher immer und bin auch besonders jetzt der Meinung, dass dieses Land, dieses Deutschland, das solche widersprüchlichen, nicht einfachen, dunklen Seiten in seiner Geschichte gehabt und verarbeitet sowie viele Probleme überwunden hat, heute nicht nur für Europa sondern auch für die ganze Welt die Rolle eines Vorbildlandes übernehmen muss.

Nie wieder Krieg, nie wieder Suche nach den Lösungen der europäischen und weltpolitischen Probleme mit militärischen Mitteln. Nie wieder Stärkung des Nationalismus – dieser immer noch nicht ganz bekämpften Pest des vergangenen 20. und auch des neuen 21. Jahrhunderts.

Ich komme selbst aus Kirgisistan - einem relativ kleinen Land in Zentralasien, bin aber in einer Supermacht – in der ehemaligen Sowjetunion aufgewachsen, deren Teil auch mein Land war.

Es gab viele bekannte Probleme, Nachteile in diesem nicht mehr existierenden Land. Was ich aber aus den Sowjetzeiten mitgenommen habe und für immer in mir trage, ist der Kosmopolitismus, den leider nicht alle meine ehemaligen Landesleute gelernt haben zu leben und zu lieben. Nicht nur durch Demokratiemangel und wirtschaftliche Probleme ist dieses Vielvölkerreich mit mehr als 100 Nationalitäten und Ethnien gescheitert. Einer der wichtigsten Gründe war der nicht ganz überwundene Nationalismus.

Heute ist die Globalisierung nach Deutschland und in die ganze Europäische Union auch durch die aktuelle, sehr scharfe Migrationswelle gekommen. Es gibt viele Probleme, die man schnell, kompetent, human und zukunftsorientiert lösen muss. Gleichzeitig ist es aber eine große Chance für Deutschland und ganz Europa, sich in eine völlig neue Gesellschaft umzuwandeln, in ein multikulturelles Paradies, das weltoffen ist und bereit ist, diese coolen, gutmütigen, friedlichen und hochhumanen Ideen weiter zu verbreiten.

Nicht nur Deutschland und Europa befinden sich heutzutage an der Schwelle der großen Veränderungen. Die ganze Welt wird sich verändern. Vielleicht ist es kein Zufall, dass dieser weltweite Wandel heute von hier, dem alten Mütterchen Europa und seinem Motorland Deutschland bereits angefangen hat.

Ich kritisiere nicht selten Deutschland, das heißt aber auf keinen Fall, dass ich dieses Land nicht angefangen habe zu lieben und zu verstehen. Ich glaube an die Vernunft, die Kultur, die Zivilisiertheit usw., all die Qualitäten und Stärken dieses Landes, die ihm ermöglichen werden, die Antworten auf die aktuellen Herausforderungen von europäischen und weltpolitischen Dimensionen zu finden.

Hoffentlich wird es Deutschland und Europa gelingen nicht an diesem nationalistischen, veralteten und von mir persönlich gehassten „Sumpf“(Nationalismus) bei den aktuellen Herausforderungen zu scheitern.

Vor kurzem nahm ich an der Veranstaltung „Die Europäische Union der Zukunft – Zwischen Vertiefung und Flexibilität“ des 6. Europäischen Salons – ein Projekt der Freien Universität Berlin, gefördert von der Robert Bosch Stiftung -, teil.

Ein Abteilungsleiter aus dem Bundesministerium der Finanzen zog interessante Parallelen in der aktuellen Europapolitik zu den sozialen Netzwerken und sagte, dass einige Politiker in Europa eine eigene bequeme Welt versuchen zu erschaffen und dass dies falsch sei. Man müsse weiterdenken. Man kann nicht jemanden, der anders denkt, aus Europa wie etwa bei Facebook aus der Freundesliste entfernen und damit glücklich werden. Die Streitkultur, die Unterschiede, der Kampf der Meinungen gehören zur Demokratie.

Diese Worte während der Podiumsdiskussion erinnerten mich daran, was mich an Deutschland schon immer fasziniert hat. Vor allem, die Achtung und die Akzeptanz der anderen, oft völlig entgegengesetzten Meinung. Die Mut des Einen zu widersprechen und die hohe politische Kultur aller Anderer zuzuhören und oft nach einer sehr langen und kämpferischen Diskussion bereit zu sein, Kompromisse einzugehen.

Hoffentlich werden Deutschland und heute auch die ganze EU die Politik gegenüber Russland – seinem größten Nachbar im Osten Europas unter Berücksichtigung seiner Lehren aus dem 20. Jahrhundert durchführen. In Bezug auf Russland, den ganzen Postsowjetraum, darunter auch Kirgisistan woher ich komme und alle weitere Regionen der Welt muss auch die europäische Akzeptanz des Andersdenkenden, eines Andersgestricktseins gelten.

Auf die Welttagesagenda müssen statt Konfrontation, Sanktionen, trennbaren Linien wieder vielseitiger Dialog, Zusammenarbeit und Kompromissbereitschaft kommen.

Die Tatsache, dass Russland nicht europäisch und prowestlich denkt und agiert, muss nicht der Grund zur Konfrontation, dem Ausschluss des größten Landes der Erde aus dem europäischen und weltpolitischen Dialog werden. Die aktuelle Lage, auch das Verhalten der EU und der USA gegenüber Russland kann man nicht als vorbildlich demokratisch bezeichnen.

Und gerade jetzt, in dieser schwierigen Situation muss Deutschland unermüdlich die Hand allen Akteuren der Weltpolitik sowohl im Westen als auch im Osten reichen. Darin besteht die neue Rolle Deutschlands in Europa und in der ganzen Welt.

In der engen Zusammenarbeit der Länder des ganzen eurasischen Kontinents und unter Berücksichtigung von ihren ureigenen Interessen liegt vielleicht nicht nur der Schlüssel zum Frieden in der destabilisierten Ukraine heute, sondern auch die Lösung der seit dem Zweiten Weltkrieg größten Migrationskrise und von vielen weiteren Problemen, mit denen Deutschland selbst und die Europäische Union heute konfrontiert sind.

Ainura Asakeyeva, Bischkek, Kirgisistan