Vor 120 Jahren gab es zwar noch keine Europäische Union; der Sprachendienst des Auswärtigen Amts hatte aber einen Mitarbeiter, der nahezu alle heutigen Sprachen der EU - sowie auch außereuropäischer Länder - sprach.

Erklärende Hinweise zu einzelnen Wörtern und Redewendungen, finden Sie im Glossar. Bitte klicken Sie dazu auf die blau unterlegten Begriffe im Text.  

Das Sprachengenie Emil Krebs  




 


2017 jährt sich zum 150. Mal der Geburtstag eines der größten Sprachgenies weltweit: Emil Krebs. Der Jurist und Dolmetscher/Übersetzer im Auswärtigen Amt beherrschte über 60 Sprachen. Er hat damit seine Zeitgenossen so sehr beeindruckt, dass ihm nach seinem Tod das Gehirn entnommen und dieses „Wunder“ wissenschaftlich untersucht wurde. Erst seit etwa 10 Jahren werden Leben und Werk Krebs wieder verstärkt erforscht, wobei Krebs‘ phänomenale Leistung nunmehr vor allem auf harte Lern-Arbeit zurückgeführt werden kann. Zum Jubiläumsjahr sind hierzu einige Publikationen mit neuen Erkenntnissen sowie Ausstellungen und Konferenzen in Deutschland, Polen und ggf. China geplant.



Emil Krebs wurde am 15. November 1867 in Freiburg/Schlesien (heute polnisch Swiebodzice) geboren. Als Abiturient des Evangelischen Gymnasiums Schweidnitz (Swidnica) waren ihm 1887 bereits 12 Sprachen geläufig. In Breslau (Wroclaw) begann Krebs zunächst ein Theologie- und Philosophiestudium, bevor er in Berlin zu Jura überwechselte und parallel dazu die Ausbildung zum Dolmetscher in Chinesisch und Türkisch absolvierte.

Ab 1891 war Krebs als Gerichtsreferendar tätig, unter anderem beim Kammergericht Berlin, bevor er seinem großen Wunsch entsprechend 1893 vom Auswärtigen Amt als Dolmetscher nach China entsandt wurde. Dort blieb er insgesamt 24 Jahre, zuletzt als Chefdolmetscher der Deutschen Kaiserlichen Gesandtschaft in Peking. Hier erwarb er sich den Ruf einer überragenden Autorität für Chinesisch, Mongolisch, Mandschurisch, Tibetisch, Japanisch und Koreanisch, aber auch für Fragen des chinesischen Rechts. Als „ein Phänomen“, „eine polyglotte Berühmtheit“ mit guten Kontakten bis in das chinesische Kaiserhaus bezeichnete ihn der damalige Botschafter Otto von Hentig in seinen Lebenserinnerungen.



Nach Abbruch der diplomatischen Beziehungen zwischen dem deutschen Kaiserreich und China kehrte Krebs 1917 nach Berlin zurück. Hier wurde er als Übersetzer im Sprachendienst des Auswärtigen Amts tätig, wo er aus über 40 Sprachen amtliche Texte übersetzte. „Krebs ersetzt uns 30 Außendienstmitarbeiter!“ erklärte der damalige Leiter des Sprachendienstes im AA, Paul Gautier. Auch heute noch gilt Krebs im Sprachendienst, wo in den bald 100 Jahren seines Bestehens manche bemerkenswerte Persönlichkeit gedient hat, als der alle überragende Polyglotte.



Dass Emil Krebs seine Sprachkenntnisse durch Fleiß, Intelligenz und Beharrlichkeit zusammengetragen hat, belegt seine nachgelassene Bibliothek, die über Werke in 111 Sprachen verfügte. Hier lassen sich auch Rückschlüsse ziehen zur Methode, mit der Krebs sich fremde Sprachen erschlossen hat, vielfach über Lehrwerke in einer bereits beherrschten Sprache wie Englisch, Französisch, Russisch, Chinesisch, Griechisch, Italienisch, Türkisch, Latein, Spanisch, Arabisch oder Niederländisch. Übrigens hätte Krebs in der heutigen EU keine Kommunikationsprobleme: er beherrschte die EU-Amtssprachen einschließlich Gälisch (lediglich Maltesisch ist nicht nachgewiesen) und sogar einige Regionalsprachen wie Baskisch und Katalanisch.



Emil Krebs starb am 31. März 1930 in Berlin. Sein Gehirn steht noch heute für Forschungszwecke dem Hirnforschungszentrum Jülich (Heinrich-Heine-Universität, Düsseldorf) zur Verfügung. Seine Grabstätte befindet sich auf dem Südwestkirchhof Stahnsdorf bei Berlin.



Bewundernde Nachrufe wegen seiner unglaublichen Sprachkenntnisse bekam Krebs in Fachkreisen und in der Presse; dann war er lange vergessen. Erst zu Beginn des 21. Jahrhundert begann eine Rückbesinnung auf dieses bis heute unerreichte Sprachgenie, für die vor allem Eckhard Hoffmann, Großneffe von Emil Krebs, gesorgt hat. In Krebs‘ Geburtsregion Niederschlesien hat der Historiker Sobieslaw Nowotny dessen Leben und Werk erforscht und gemeinsam mit E. Hoffmann in Vorträgen und Ausstellungen in Polen auf den großen Schlesier aufmerksam gemacht. Diesen Bemühungen schloss sich auch der Sprachendienst des Auswärtigen Amts an.



Zum laufenden 150. Geburtsjahr von Emil Krebs sind neben Ausstellungen, Symposien und Vorträgen auch zwei Publikationen geplant: eine Monographie über Leben und Werk Krebs‘ aus der Feder von Eckhard Hoffmann sowie eine Bildergeschichte über die frühen Jahre Krebs‘ in Schlesien und seine erste Zeit in China, gezeichnet und verfasst von Melinda Kovács-Mosbacher. Beide Werke werden auch in polnischer Übersetzung erscheinen.



Quelle: Gunnar Hille, Sprachlernzentrum, Auswärtiges Amt